Was ist Diskriminierung und wie funktioniert sie? Was sind Folgen und weshalb ist Diskriminierung so gefährlich?

TW: Der Text nutzt Beispiele von Diskriminierung!

Diskriminierung ist ein komplexer Mechanismus, welcher unser Zusammenleben in einer Gesellschaft prägt. Diskriminierung zu erklären ist nicht einfach. Es gibt bereits zahlreiche bestehende Bücher, Podcasts und Videos, welche versuchen Diskriminierung und dessen Wirkmacht zu erklären. Das hier ist ein weiterer Versuch, welcher sich dabei auf das bereits bestehende Wissen aus allerlei Quellen stützt. Mit großer Dankbarkeit, Wertschätzung und Achtung erkennen wir bei PAQT die unglaublichen Mühen und emotionale Arbeit der Personen an, welche in der Auseinandersetzung und direkten Erfahrung mit Diskriminierung, Widerstandsarbeit leisten und gegen dessen Wirkmacht ankämpfen. Auf diesen Kämpfen bauen wir mit unserem Aktivismus auf.

Vorab sei erwähnt: Keine Person ist frei von Diskriminierung. Alle Menschen wachsen in Gesellschaften auf und erlernen durch Sozialisierung und Erziehung Wissen darüber, wie die Welt funktioniert. Jede Person entwickelt dabei ihre individuellen Glaubenssätze; Vorstellungen, woran sie glaubt. Diese Vorstellungen prägen die Wahrnehmung dieser Person und als Folge auch, was diese Person für wahr nimmt; also deren Wahrheit bzw. Realität.

Beispielsweise lernt Jakob als Kind, dass es lediglich zwei Geschlechter gäbe: Mann und Frau. Das verankert sich in seiner Wahrheit und wird zum Glaubenssatz. Jakobs Blick auf die Welt, wie er die Welt wahrnimmt, ist nun geprägt von jener Vorstellung. Egal, was Jakob beobachtet, es wird in seine Vorstellung passen – auch, wenn sich die Personen, die Jakob beobachtet vielleicht gar nicht als Mann oder Frau identifizieren. Also überall, wo Jakob hinschaut, wird er seine Vorstellung bestätigt finden und auch nur Männer und Frauen sehen. Dass Jakob damit gar nicht alle Personen erfassen kann, weiß er nicht. Jakob hat das nämlich so gelernt. Dass das diskriminierend ist und zu extremem Leid führt, weiß Jakob auch nicht.

In diesem Beispiel zeigt sich die unglaubliche Wirkmacht von Diskriminierung und weswegen sie oft so unsichtbar bleibt. Menschen werden diskriminierend sozialisiert und was eine Person lernt, ist für sie Realität. Diese Realität scheint so natürlich und selbstverständlich, dass sie oft unhinterfragt angenommen wird.

Es offenbart sich, dass wir Menschen in Kategorien denken und Gruppen erschaffen, zu denen wir Menschen wegen bestimmter Merkmale zuordnen. Das sind stereotypische Vorstellungen. Ob diese Gruppen wirklich existieren, ist irrelevant. Beispielsweise schreibt Jakob allen Personen, die er trifft, entweder Mann- oder Frausein zu. Bestimmende Merkmale dafür können die Haarlänge, Klamotten oder Stimme der Personen sein. Dieser Mechanismus von Fremdzuschreibungen zu einer Gruppe ist ein Fundament von Diskriminierung. In sozialen Interaktionen lesen wir Menschen und bedienen uns sozial erlerntem Wissen über bestimmte Gruppen. Zum Beispiel schreiben wir einer Person mit Hijab Zugehörigkeit zum Islam zu. Zuschreibungen funktionieren, weil wir Beobachtetes direkt bewerten bzw. interpretieren. So kann eine Person gelernt haben, dass Schwule ihre Fingernägel lackieren, und wird bei Personen, die sie männlich liest und die ihre Fingernägel lackiert haben, denken, diese seien schwul. Diskriminierung funktioniert über jene stereotypisierenden Vorstellungen. An Jakobs Beispiel lässt sich passend erkennen, dass dieses Wissen sozial erlernt ist und dadurch, wie Jakob die Welt betrachtet, auch stetig beibehalten wird und sich neu herstellt. Das passiert unabhängig davon, ob das Wissen für alle wahr ist oder nicht.

Obwohl jede Person ihre eigene Realität hat, existiert in einer Gesellschaft geteiltes Wissen, welches sich in Köpfen der Menschen einer Gesellschaft verankert. Dabei kommt es zu Überschneidungen der Realitätsvorstellungen von Menschen einer Gesellschaft. Wenn diese Überschneidungen so wirkmächtig werden, dass sie als „wirklich“ angenommen sind, werden sie zu Normativität. Normativ sind demnach jene Vorstellungen, die in der Gesellschaft als „normal“ bzw. „natürlich“ bewertet werden. Sie haben sich über einen historischen Prozess in einer Gesellschaft entwickelt und verankert. Das kann wie in Jakobs Beispiel die Idee von Zweigeschlechtlichkeit sein, gleichzeitig auch die Vorstellung von Heterosexualität oder Weißsein als Norm.

Das Beispiel zeigt außerdem, dass Diskriminierung oft unbewusst und unabsichtlich passiert. Wahrscheinlich möchte Jakob gar keine Menschen ausschließen, dennoch missachtet seine Realität die Menschen, welche sich nicht der Zweigeschlechtlichkeit zuordnen. Folge dessen ist eine Abwertung, Ausgrenzung und Benachteiligung der Menschen, welche nicht in die Grenzen der Normativität passen. Es besteht keine Möglichkeit zu existieren. Die Wahrheiten und Perspektiven von nicht der Zweigeschlechtlichkeit entsprechenden Menschen werden nicht (an)erkannt. Gleichermaßen können die als Folge der Diskriminierung entstehenden Emotionen für Jakob auch nicht existieren. Menschen, die Jakobs Weltbild widersprechen, sowie deren Erfahrungen und Wahrheiten werden in Frage gestellt. Jakob kann ihnen vermitteln „anders“ bzw. „falsch“ zu sein und damit nicht dazuzugehören.

Unbekannt

"Wenn du Privilegien gewohnt bist, fühlt sich Gleichberechtigung an wie Unterdrückung."

Anhand von Jakob zeigt sich, dass Diskriminierung individuell funktioniert. Sie wird getragen von Menschen, deren persönlichen Handeln und Vorstellungen von der Welt. Gleichzeitig wirkt Diskriminierung strukturell. Diskriminierung ist mit dem gesellschaftlichen System und dessen Normvorstellungen verwoben. Weiter verankert sich Diskriminierung institutionell. Aufbauend auf der strukturellen Diskriminierung von Gruppen und dem dort etablierten Wissen, spiegeln Institutionen jene Vorstellungen in deren Aufbau wider. Das zeigt sich beispielsweise, wenn es keine genderinklusiven Toiletten gibt oder wenn Rechte für bestimmte Gruppen vorbehalten sind. Diese drei Ebenen der Diskriminierung sind nicht losgelöst voneinander zu betrachten und beeinflussen sich gegenseitig.

Es wird klar, dass Diskriminierung funktional ist. Sie nutzt den Einen und schadet den Anderen. Hierbei ist der Nutzen für die Personen, die davon profitieren, oft nicht sichtbar. Betroffene von Diskriminierung sind sich der Diskriminierung und dessen Auswirkungen sehr bewusst, während sowohl die eigenen Privilegien als auch das Leid von Betroffenen für Privilegierte oft unsichtbar bleiben. Cis-heteronormative Privilegien zeigen sich beispielsweise, weil sich wegen der eigenen Sexualität oder Geschlechtsidentität keine Gedanken darüber gemacht werden muss, ob es sicher ist, in der Öffentlichkeit Zuneigung zu zeigen oder an einen bestimmten Ort zu verreisen. Das zeigt, dass zu jeder Diskriminierung als Gegenstück eine Privilegierung gehört. Ein weiterer Faktor ist, dass von Diskriminierung betroffene Personen einen Umgang mit deren Diskriminierungserfahrungen finden müssen, während privilegierte Menschen das nicht müssen.

Eine wichtige Haltung innerhalb des Aktivismus bei PAQT ist die Anerkennung, dass es neben Queerfeindlichkeit weitere Diskriminierungsformen gibt, welche unser Sein beeinflussen. Das Zusammenwirken mehrerer Diskriminierungsformen ergibt dabei neue Diskriminierungserfahrungen. Das nennt sich Mehrfachdiskriminierung oder Intersektionalität. Beispielsweise erfährt eine disabled Lesbe einen anderen Ausschluss als ein abled Lesbe. Das bedeutet, dass Personen sowohl diskriminiert als auch privilegiert werden können und es kein reines Schwarz-Weiß-Denken gibt. Aktivismus sollte gegen Diskriminierung und für mehr Akzeptanz von allen Personen in der Gesellschaft vorgehen und deswegen auch alle Diskriminierungsformen abdecken. Wir bei PAQT befinden uns dabei selbst in einem stetigen Lernprozess, der darauf abzielt für uns noch unsichtbare Perspektiven sichtbar zu machen und zu lernen diese mitzudenken.

Um die psychosomatischen (sowohl psychischen als auch körperlichen) Auswirkungen von Diskriminierung zu verstehen, ist es wichtig zu wissen, was Mikroaggressionen sind. Wir stützen uns hierbei auch auf das Minderheiten-Stress-Modell. Mikroaggressionen nennen sich Diskriminierungserfahrungen, welche alltägliche Interaktionen zwischen Menschen umfassen und ausschließende normative Vorstellungen verfestigen. Mikroaggressionen sind meist implizite Botschaften, mögen klein erscheinen, erinnern Betroffene jedoch stetig daran „unnormal“ oder „falsch“ zu sein und nicht dazuzugehören. Beispielsweise zeigt die Antwort auf ein Coming-Out: „Du hast gar nicht schwul gewirkt.“, dass von Heterosexualität als Norm ausgegangen und Schwulsein als etwas außergewöhnliches bewertet wird. Gleichzeitig offenbart sich die stereotypisierende Vorstellung, was als schwul gilt oder nicht. Solche Erfahrungen können sich summieren und zu einer Hyperwachsamkeit führen; eine stetige Angst vor der Konfrontation mit dem gesellschaftlichen Ausschluss und dem Gefühl nicht dazuzugehören.

Das ist so, weil Menschen wegen Diskriminierung lernen, dass sie nicht sicher sind. Wichtig hierfür ist unser Nervensystem. Unser Nervensystem funktioniert automatisch und steuert unsere Reaktion auf die Umwelt mit dem Ziel zu überleben. Dabei sucht es nach Hinweisen, ob wir sicher oder in Gefahr sind. Durch Diskriminierung speichert das eigene Nervensystem, dass Gefahr besteht, wenn man die Teile von sich zeigt, welche gesellschaftlich diskriminiert werden. Wir von PAQT sprechen von einem gesellschaftlichen Trauma. Das Nervensystem einer Person kann dann signalisieren: „Ich bin nicht sicher. Ich bin in Gefahr.“ Das ist ein erlernter Schutzmechanismus von uns, welchen wir aufgebaut haben, um unser Bedürfnis nach Zugehörigkeit erfüllt zu bekommen. Das passiert beispielsweise, wenn man als Kind bemerkt, dass man queer ist, aber die eigenen Eltern queerfeindlich sind. Aus Angst verlassen zu werden und der damit einhergehenden Unsicherheit, lernt man sich zu verstecken und abzulehnen. Gerade als Kinder sind wir abhängig von den Personen, die sich um uns kümmern und die Bindungen scheinen essenziell für das eigene Überleben. Körper und Geist speichern solche Informationen. Es bilden sich Glaubenssätze, die sich zum Beispiel zeigen, wenn das Herz einer ungeouteten Person in Situationen anfängt zu rasen, wo sie die Gefahr sieht, als queer geoutet zu werden. Auch wenn der Rahmen für die Person zu einem Zeitpunkt sicher scheint, hat sie gespeichert, dass es unsicher ist, queer zu sein und das zu zeigen.

Es wird sichtbar, dass aus einer Verlassenheitsangst heraus und weil Personen ihre Bedürfnisse (nach z.B. Zugehörigkeit, Bindung oder Anerkennung) erfüllen wollen, Betroffene von Diskriminierung oft die gesellschaftliche Ablehnung verinnerlichen und (sich) selbst diskriminieren. Es existiert der Glaubenssatz: „Ich bin falsch.“ oder „Wenn ich mich zeige, werde ich verlassen.“ Es wurde gelernt sich selbst abzulehnen und sich von dem eigenen authentischen Selbst abzuspalten. Diskriminierung bedingt, dass Menschen sich nicht trauen, sie selbst zu sein und Angst haben, dass andere Menschen sie erkennen, weil sie gelernt haben, dass sie „falsch“ seien. Diese Situation wird durch das Zusammenwirken von äußeren und inneren Stressoren hervorgerufen. Ein äußerer Stressor ist beispielsweise die Begegnung mit der Vorstellung, dass trans*-Personen, weil sie trans* sind, falsch seien und als Folge Ablehnung erfahren; während der sich daraus entwickelnde innere Stressor internalisierte Transfeindlichkeit ist. Das kann starke psychosomatische Folgen haben und zu einem (Dauer-)Stress führen. Ein weiters Beispiel dieses inneren Konflikts ist das Coming-Out als lesbisch. Hier zeigt sich erlernte und verinnerlichte Homonegativität. Vor und oft auch noch lange nach dem Outing existiert ein Prozess des Verstellens und Versteckens verknüpft mit Scham die Person zu sein, die man ist. Man verbietet sich selbst und entzieht sich die Erlaubnis authentisch zu sein.

Diskriminierung hat gleiche Folgen wie Mobbing oder Missbrauch. Normatives Denken, Abwertung, Ausschluss, Nicht-Mitdenken, Delegitimieren, Ignoranz, erlernte Selbstablehnung, Angst vor seelischer oder körperlicher Gewalt haben Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Jene Stressoren sind Gründe für Krankheiten, geringere Lebenserwartung, Traumatisierung und Suizid. Darum geht es bei Antidiskriminierung auch um den Schutz von Menschenwürde und Menschenlebe

Falls ihr Interesse habt euch einzubringen und unser Team bunter zu machen, meldet euch gerne bei uns! Wir wissen, dass wir kein allumfassender safer space sein können. Gleichzeitig hoffen wir durch einen diskriminierungssensiblen Umgang und Sensibilisierung unserer Mitglieder, einen Raum zu schaffen, wo sich alle wohlfühlen können. Let’s fight the cis-tem!